Ich möchte Dir heute meine persönliche Geschichte und Erfahrung mit Gott erzählen. In dieser Geschichte geht es nicht nur um das was passiert ist, sondern vor allem darum, dass Gott in jedem Moment unseres Lebens bei uns ist.

Damit Du verstehst was damals passiert ist, will ich Dir einige Details aus meiner gemeinsamen Kindheit mit meinen Brüdern schildern.

Um das Jahr 1964 mussten meine 4 Brüder und ich uns, (in unserer Wohnung,) ein ca. 10 m² großes Zimmer teilen. In diesem Zimmer standen 3 Betten und 2 kleine Kleiderschränke. Die ganze Wohnung besaß keine Heizung, nur die Küche und das Wohnzimmer wurden von einem Kohleofen beheizt.
Mein jüngerer Bruder Horst wurde in den späten Nachkriegsjahren 1955 geboren. Da in dieser Zeit die Ernährung noch sehr arm war und Horst sehr schnell wuchs, worunter sein Knochenbau litt, brauchte er eine sehr intensive orthopädische Behandlung. Als er 10 Jahre alt wurde bekam er eine an seinen Körper angepasste Gipsschale, die seine Körperhaltung korrigieren sollte. Später bekam er ein medizinisches Liegekorrekturbrett, mit verschiedenen Riemen, mit denen er jede Nacht in eine sehr unbequeme Position festgeschnallt wurde.
Zusätzlich musste er am Tag Korrekturriemen am Rücken tragen, für ihn waren diese sehr unangenehm. Oft hatte er geweint und unsere Mutter gebeten, dass er diese Korrekturriemen nicht tragen muss. Auch nachmittags beim Spielen war er an diese Korrektur
gefesselt, besonders im Sommer war dies durch die Hitze sehr schlimm, weil es immer Wunde Stellen gab.

Er war auch ein lieber Junge, er half gerne bei den Nachbarn, da er dort als Belohnung etwas Süßigkeiten bekam und da er diese so gerne aß hatte er auch ein wenig Übergewicht. Unsere Familie konnte sich damals den Luxus nicht leisten und deswegen gab es bei uns nur selten Süßigkeiten.
Unsere Eltern waren gläubige und fleißige Menschen sie haben für die Familie alles getan. Unser Vater hatte eine gute Arbeit und konnte sich später sogar ein eigenes Auto leisten. Das Ziel unserer Eltern war es, für ihre Familie ein Haus zu bauen. Dieser Wunsch ist ihnen auch viele Jahre später in Erfüllung gegangen.  
Bis zum 24. März 1970 waren wir eine glückliche Familie. Mein Bruder Horst und ich hatten einen Termin in Münster beim Orthopäden. Damals gab es noch wenige Fachärzte in Senden und daher mussten wir nach Münster.
Nach dem Arztbesuch hatten wir beschlossen mit unserem Vater am Abend wieder zurück nach Hause zu fahren. Mein anderer Bruder Richard hatte auch an diesem Tag etwas in Münster zu erledigen und hatte sich uns angeschlossen. Wir trafen uns an eine vorher abgesprochenen Stelle. Mein Vater machte Richard das Angebot, ob er nicht fahren möchte, da Richard zwar schon Führerschein, aber kein eigenes Auto besaß, war er auch gerne bereit zu fahren. Es war schon Dunkel und alle Autos fuhren mit Licht. Wir waren mit hoher Geschwindigkeit vor dem Autobahnkreuz (Münster Süd) auf der linken Überholspur unterwegs.
Plötzlich wechselte der PKW vor uns schnell die Spur, als wir zwei Scheinwerfer auf uns zukommen sahen, waren wir nicht in der Lage auszuweichen. Wir stießen frontal mit dem Geisterfahrer zusammen.
Zu dieser Zeit gab es noch keine Anschnallpflicht, wir wurden bei dem Zusammenstoß aus dem Wagen auf die Fahrbahn geschleudert.
Irgendwann  bin ich vor Kälte und Schmerzen aufgewacht. Ich lag mit dem Gesicht seitlich auf dem Asphalt. Ich versuchte auf die Beine zu kommen und es war schon völlig dunkel geworden. Ich sah blinkendes Blaulicht, Scheinwerfer, die die Straße ausleuchteten, Helfer, die herumliefen. Als ich aufstehen wollte kam mir jemand zur Hilfe.
Mein Vater saß zwei Meter von mir entfernt auf der Fahrbahn und stöhnte vor Schmerzen. Horst lag fünf Meter weiter weg und bewegte sich nicht. Richard hatte ich nicht gesehen. Unser Auto war ein totaler Blechhaufen und lag auf der Seit am Straßenrand. Mein Vater fragte mich nur noch wie es mir geht. Es ging alles so schnell. Ein Rettungswagen hielt neben mir, zwei Sanitäter und ein Arzt brachten mich in den Rettungswagen, mit Blaulicht und Sirene fuhren wir ins nächste Krankenhaus.
Meine Mutter machte sich Sorgen und wurde sehr ungeduldig als wir lange nicht nach Hause kamen. Sie saß die ganze Zeit in einem dunklen Zimmer am Fenster und schaute auf die Straße. Meine beiden jüngeren Brüder waren schon im Bett. Als in diesem Moment ein Polizeiwagen von Münster her in Ihre Richtung bog, war der erste Gedanke meiner Mutter: „Hoffentlich ist ihnen nichts passiert“. Aus dem Fenster konnte sie einige Straßen überblicken und je näher der Polizeiwagen kam, desto nervöser wurde sie. Sie hatte schon eine Vorahnung, dass diese Polizisten zu ihr wollten und tatsächlich, der Polizeiwagen blieb vor ihrer Haustür stehen. Die Polizeibeamten stiegen aus und klingelten an der Wohnungstür. Mit zitternden Händen und Knien öffnete sie die Tür und fragte die Beamten sofort, ob noch alle am leben seien.
Die Beamten beruhigten sie, dass alle noch am leben seien und in welche Krankenhäuser man uns gebracht hatte. Sie packte sofort unsere Schlafanzüge, Zahnbürsten und Handtücher ein, lief zum Nachbarn rüber und fragte ihn, ob er sie fahren könnte.
Als der Krankenwagen mich ins Krankenhaus brachte, sah ich, dass die Polizei auch mitgefahren war. Sie sprachen mit dem Arzt im Krankenhaus über den Unfall, das einzige was ich von dem Gespräch aufgegriffen hatte war der Satz „… der ist tot“. Ich versuchte mich von der Bahre aufzurichten und frage wer tot sei, sie beruhigten mich, aber verschwiegen es mir. Sie brachten mich in den Operationssaal, dort wurden meine Wunden gesäubert, genäht und Röntgenaufnahmen gemacht. Danach brachten sie mich auf die Intensivstation, wo ich am Tropf angeschlossen war.
Später habe ich erfahren, dass es der Geisterfahrer war, der noch im Auto gestorben war. Seine letzten Worte sollen „Ich bin Schuld.“ gewesen sein.
Wir wurden in drei verschiedene Krankenhäuser gebracht.
Der Nachbar fuhr meine Mutter zuerst zu Richard ins Krankenhaus und was sie dort sahen war fürchterlich. Mein Bruder hatte viele Schnittwunden im Gesicht, beide Beine mehrmals gebrochen. Mein Vater, der in demselben Krankenhaus war hatte die Hand und viele Rippen gebrochen, überall Prellungen und einige Zähne verloren. Zu mir sind sie dann gegen Mitternacht ins Krankenhaus gefahren. Der Nachbar sagte zu meiner Mutter, dass er im Auto warten möchte, da das was er im ersten Krankenhaus gesehen hatte zu viel für ihn war.
Ich wurde von der Krankenschwester geweckt, sie sagte mir, dass meine Mutter gekommen ist und mir einige Sachen mitgebracht hat. Als meine Mutter mich sah erschrak sie und fing an zu weinen, denn mein ganzer Kopf war mit einem weißen Band verbunden, meine Augen, Lippen und meine Nase waren angeschwollen. Meine Haut war bis aufs rohe Fleisch abgeschürft und alles war blutig. Es war kein schöner Anblick. Für sie war das schon langsam zu viel. Sie durfte nur ganz kurz bei mir bleiben. Nun wollte sie in das letzte Krankenhaus wo Horst hingebracht wurde. Meine Mutter war schon nervlich total am Ende. Der Nachbar sagte, dass sie doch in der anderen Klinik anrufen und fragen soll wie es Horst geht, aber wenn sie möchte, dann bringt er sie auch noch dort hin. Meine Mutter wollte den Nachbarn auch nicht mehr um seine Nachtruhe bringen, da er auch am nächsten Tag arbeiten musste. Sie rief die Klinik noch von dort aus an und man sagte ihr, dass es Horst den Umständen entsprechend gut geht. Daher fuhr sie mit dem Nachbarn nach Hause.
Morgens um sieben Uhr wurde meine Mutter wieder aus dem Bett geklingelt. Als sie aufstand und zur Tür ging sah sie zum Fenster hinaus und sah, dass wieder ein Polizeiauto vor der Tür stand. Als sie die Tür öffnete standen dort die Beamten vom Vortag. Sie kamen herein und sagten ihr, dass ihr Sohn gestorben sei. Ihr erster Gedanke war, dass ich gestorben sei, aber es war Horst. Das war ein sehr schwerer Schlag für sie. Sie sagten ihr, dass er früh morgens an einem Herzkammerriss gestorben sei. Sie konnte es sich nicht verzeihen, dass sie ihn in der Nacht, als er noch lebte nicht besucht hatte.
Sie hat viele Tränen vergossen und viel gebetet. Sie suchte Trost bei Gott.
Meinem Vater und Richard hat sie es sofort gesagt, dass Horst gestorben war, aber mir durfte sie es nicht sagen, die Ärzte hatten es ihr verboten.
Sie besuchte mich fast jeden zweiten Tag, ohne schwarze Trauerkleidung anzuziehen. Sie hat sich wunderbar beherrscht. Nach vierzehn Tagen erst, als mein Bruder schon über eine Woche beerdigt war, bin ich durch einen Fehler meiner Mutter darauf gekommen, dass Horst nicht mehr lebt. Ich fragte sie, warum sie schwarze Strümpfe an hat. Da sie mir nichts verraten durfte, sagte sie, sie habe sie von ihrer Schwester geliehen, weil sie wärmer sind und sie, wenn sie mit dem Bus fährt an der Haltestelle nicht so friert.
Zuerst hatte mich diese Antwort zufrieden gestellt. Dennoch war dort immer noch die Frage: Warum SCHWARZE Strümpfe? Es ließ mich nicht in Ruhe. In Gedanken ging ich die letzten Besuche von ihr durch und mir wurde klar, dass Horst tot war. Immer, wenn ich sie fragte wie es Horst geht, sagte sie mir, dass es ihm am Besten geht, aber im selben Atemzug erzählte sie mir etwas von meinem Vater oder von Richard.
Ich konnte nicht mehr auf den nächsten Besuch warten. Ich war mir schon sehr sicher, aber wollte endlich Klarheit.
Ich durfte immer noch nicht aufstehen und musste drei Wochen ohne aufzustehen nur im Bett liegen. Ich hatte eine mittelschwere Gehirnerschütterung und eine Schädelbasisfraktur (Schädelnahtsprengung). Mir wurde bewusst, was für einen Stress meine Mutter bei jedem Besuch durchgemacht hatte. Ihr Herz war voller Trauer, und die Spuren dieser Trauer zeichneten sich auch auf ihrem Gesicht ab, aber ich hatte das in all diesen Tagen nicht wahrgenommen. Gott hat mir anscheinend für diese Zeit die Augen dafür verschlossen.
Doch beim nächsten Besuch meiner Mutter wollte ich endlich die Wahrheit erfahren.

Jemand klopfte an die Tür und meine Mutter kam herein. Wir begrüßten uns. Sie zog ihren Mantel aus und kam wieder ans Bett. Dann fragte ich sie direkt: „Wie geht es Horst? Lebt er noch?“
Sie fing an zu weinen, nahm meine Hand und streichelte sie.
Sie sagte: „Henryk du musst jetzt stark sein. Ich durfte es dir nicht sagen, da die Ärzte es mir verboten hatten. Aber jetzt, weil du mich fragst beantworte ich dir die Frage. Unser „Horstl“ wurde vor einer Woche beerdigt.“
Danach beantwortete sie mir alle meine Fragen und erzählte mir von der Beerdigung.
Zwei Wochen später wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Ich wurde von einem guten Arbeitskollegen meines Vaters und seiner Frau aus dem Krankenhaus abgeholt. Meine Mutter erwartete mich schon mit großer Freude. Alle haben sich gefreut, besonders ich, dass ich endlich wieder zu Hause war. Ich war der Erste, danach kam mein Vater und nach drei Monaten Richard.
Wir trösteten unsere Mutter, aber erst nach vielen Jahren überwand sie den Schmerz.
Heute bin ich selber verheiratet und habe jetzt auch eigene Kinder. Gott sei Dank leben alle noch und sind Gesund. Ich danke Gott besonders dafür, dass er mich uns von solchen Sorgen, wie sie meine Eltern durchmachen mussten, bis heute bewahrt hat.
Warum mein Bruder Horst mit 15 Jahren sterben musste, weiß ich nicht. Gott allein kennt die Antwort. Das Leben kann manchmal mühselig und kurz sein, so wie das - meines Bruders Horst. Aber Gott kennt jeden unserer Wege gut. Lasst uns unser Leben bewusster leben, Gott für jeden Tag danken und ihn bitten, dass er uns vor solchen Prüfungen bewahrt. Ich glaube an Gott und Jesus Christus meinen Erlöser. Ich danke Gott, dass er mich am Leben erhalten hat.
      
„Befiehl dem HERRN deinen Weg, und vertraue auf ihn…“ 
Psalm 37,5

Henryk Riemer
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© Christliche Kirchengemeinde (des siebenten Tages)
Meine Erfahrung mit Gott
Ein Tatsachenbericht von Henryk Riemer 1970